"Rhenofrankonia vivat, crescat, floreat!" Wie oft schon haben wir uns diese Worte mit echter Begeisterung zugerufen. In den verflossenen Jahren aber mußte dieser Ruf oft mit besonderer Inbrunst, ja man möchte sagen, als Kampfruf in die Zeit hinausgerufen worden. Und wenn wir heute dankbar zu den Gründern der Rhenofrankonia hinaufschauen, so nicht weniger dankbar zu denjenigen, die in schwerer Zeit das Band der amicitia, festgehalten haben, damit auch heute wieder der Freudenruf erschallen kann: Rhenofrankonia vivat, crescat, floreat! Doch die Alten Herren mögen selber berichten.
Von dem neuen Aufblühen der Aktivitas in den Nachkriegsjahren des
ersten Weltkrieges gibt uns E. Strott ein vielseitiges Bild:
Das Jahr 1925 rechnete noch zu den Nachkriegsjahren. Soeben richtete
sich das Wirtschaftsleben nach den Schlägen der Inflation wieder auf.
In diesem Jahr fanden wir als Füchse zu Rhenofrankonia. Die
8 Semester bis Ostern 1929 waren geprägt von unseren Bemühungen,
"Altstudententum" und Jugendbewegung in Einklang zu bringen. Dafür
wurden viele geistige Kräfte eingesetzt und auch verzettelt.
Ob das Ziel erreicht wurde? Und ob es überhaupt zu erreichen
war? Jedenfalls litt Rhenofrankonia damals sehr darunter. Es
gab sehr hitzige Konvente, und manche auch größere Veranstaltung
brachte infolge der dauernden Auseinandersetzungen nicht den Schwung und
die Begeisterung, der sonst junge Menschen fähig sind, die unbesorgter
lebten. In den Jahren 1925-27 war der Fuchsenstall sehr klein, dann
aber wuchs er stetig. Die Krise war überwunden. Im ganzen
gesehen waren wir bei Mutter Rhenofrankonia geborgen. 1927 weihte A. H.
Scheifen in der Bonner Marienkirche die erste Fahne, und wenige Semester
später chargierten wir in eigener Vollwichs.
Groß und unvergeßlich war für uns muli die Jahrtausendfeier
der Rheinlande, wie überhaupt die 8 Semester von vielen großen
und großartigen Feiern ausgefüllt waren. 1927 besuchte der jetzige
Papst die Grundsteinlegung des Bensberger Priesterseminar, die Bonner
Theologenkonvikte und hinterließ bei den Menschen einen unverwischbaren
Eindruck der geheimnisvollen Macht seiner Persönlichkeit auch nach
nur kurzer Begegnung. Wir Rheno-frankonen erhielten in unsere jungen Herzen
viele neue Anregungen und Eindrücke durch solche großen Feierlichkeiten.
Sie wirkten auch auf unsere studentischen Veranstaltungen, und wir versuchten,
die Forderungen der Zeit zu erkennen, zu erfüllen und mit dem späteren
Beruf zu verbinden.
Für den jungen Theologen wird ja immer die Religio das Primäre
und das Tiefste bleiben. Damals sprach man noch viel von liturgischer "Bewegung".
Die damals aufkommende "Gruppenbildung" besonders in den Jugendvereinen
- heute selbstverständlich - interessierte uns sehr stark.
Die Scientia sog uns ganz auf. Professoren wie Rademacher (1873-1939),
Tillmann (1874-1953), Vogels zogen uns in ihren Bann. Die Exkommunikation
Jos. Wittigs und die Indizierung seiner vielgelesenen Bücher
machte unter uns Freunde zu Feinden und umgekehrt. Die Konversion
Erik Petersons von der evangelisch-theologischen Fakultät war
in der Entwicklung und für uns bereits selbstverständlich.
Unser A.H. Universitätsprofessor Dr. Aloys Müller gab uns manch
wertvollen Fingerzeig und eine Ausrichtung für philosophisches Erfassen
und Denken. Sein gastliches Haus stand uns immer offen. Die
wissenschaftliche Arbeit manches Bundesbruders, der vor der Promotion stand,
war uns Stolz und Freude. Die theologische Literatur, die wissenschaftlichen
Zeitschriften und die damals so stark werdende katholische Romanliteratur
fand bei uns eifrige Leser.
Mir steht auch noch mancher liebe Freund in der Erinnerung, der glaubte,
der Theologie Ade sagen zu müssen. Ganze Nächte sprachen
wir zusammen und suchten leidend nach Klarheit, und heute, stehen diese
Leute doch als Theologen an führender Stelle. Wir lernten erfassen,
wie wunderbar Gottes Wege sind, aber auch wie geheimnisvoll! Scientia hominis
und scientia Dei!
Die Amicitia bleibt uns allen das Liebste und Schönste.
Wieviel freundschaftliche Bande zwischen späteren Priestern und Laien
wurden damals geknüpft! Menschenkenntnis und ihre Enttäuschungen
formten uns und gaben uns Erfahrungen für das spätere Leben.
Und das alles unter den satten Farben violett, gold, rot! Rhenofrankonia
bleibt uns die liebe und getreue Mutter. Sie hat damals in uns das
wachsen und reifen lassen, was in den ersten Jahren unseres Priestertums
an Zeugenschaft und Bekennermut als Früchte von uns gefordert wurde.
Dieser glänzende Aufstieg unserer Vereinigung sollte jedoch schon
bald auf die ersten Schwierigkeiten stoßen, wie uns W. Meuser in
einem anschaulichen Bericht mitteilt:
Dem Auge der Erinnerung bieten sich bunte und wechselnde Bilder.
Im Jahre 1933 unter vielen Bewegungen auch Aufläufe der "neuen Jugend"
um lodernde Flammen aus Scheiterhaufen von bunten Mützen, Stürmern
und Bändern von Studenten (von denen viele kurz zuvor noch diese Zeichen
ihrer Korporationen stolz über dem braunen Hemd der SA getragen hatten,
um in trotzigen Aufzügen die "Rote Front" von der Straße zu
schlagen) - gleichzeitig im Gegenzug ein letztes Aufleuchten alter Burschenherrlichkeit,
indem selbst älteste Professoren noch plenis coloribus zu ihren Kollegs
erscheinen. Das war der symbolische Abschluß unserer Studentenjahre,
zugleich aber auch das Ende eines Kapitels in der Geschichte Rhenofrankoniae,
das man vielleicht mehr als andere Jahre die Studentenzeit des Bundes nennen
darf: Die Zeit der farbenfrohen Kneipen und der Vollwichs, die Zeit, die
sogar einmal nahe daran schien, uns "gleichberechtigt" neben die öffentlichen
Stadtkorporationen zu stellen. Auch das verdankten wir dem Führer!,
noch ehe er "Führer" war.
Wie das vor sieh ging? - Heute noch erinnere ich mich des sonnendurchleuchteten
Nachmittags am 10. Juli 1929 im großen Festsaal bei Espay mit
seinem Blick auf den strömenden Fluß wie das ragende Münster
drüben und das für Theologenaugen nicht minder ragende Albertinum;
im Saale selbst unter dem Gewoge der Theologen die bunten Mützen der
katholischen Korporationen, das festliche Schwarz der Professoren; freilich
fehlte der jugendliche Schillerkragen der Edlen, die den Schild ihrer Ehre
rein zu halten wissen von der Befleckung „solcher Gelage und überholter
Studentenromantik"; ihr Fehlen wird jedoch im Augenblick weniger vermerkt,
das Auge richtet sich mehr auf die abwartend prüfenden Mienen der
Konviktsdirektoren: ob die Probe gelingt, nämlich das fait accompli
eines rauschenden Einzuges von fast dreißig Chargierten mit der glänzend
neuen Vollwichs in den Farben der einzelnen Theologenbünde? - Diese
Demonstration hatte einige Diskussionen und Kämpfe auf dem Senioren-Konvent
des Vereins katholischer Theologen gekostet, zuletzt den Austritt der Aurelen.
Was würde nun besonders Theologenvater Serres sagen? Scheinbar
jedoch ging alles programmgemäß und gut; unter reger Anteilnahme
von Professoren und Repetenten nahm der Abend (sogar nach offiziöser
Verlängerung) einen festlichen und frohen Verlauf, der jeder Studentenverbindung
Ehre machen konnte.
Ehrgeizige Köpfe konnten ihn als gelungenen Start zu größeren
Unternehmen betrachten: auf dem Weg der Theologenvereinigungen in die Öffentlichkeit
der Universität und in die volle Gleichberechtigung der e i
n z e 1 n e n Bünde (nicht nur des Vereins katholischer Theologen
als Gesamtheit) neben den anderen anerkannten Korporationen mit Sitz und
Stimme auch in der V.V. (Vertreter-Versammlung). Die politische Situation
schien danach zu verlangen. Ein Gegengewicht gegen die zahlreich
werdenden Verbindungen national-sozialistischer Gesinnung war sehr erwünscht
zur Stärkung der demokratischen Richtung, die fast nur noch in katholischen
Bünden Stütze fand. Jedenfalls waren dem Universitätskurator
solche Bemühungen einzelner Theologen hochwillkommen; Besprechungen
mit den Senioren und Philister-Senioren gingen seinem entscheidenden Schritt
voraus: einer Petition bei Eminenz, die (im Trubel des Semesterschlusses
mit all seinen Prüfüngen im Winter 1929/30 gegen lebhaften Widerstand
- 4:5 - und halbwegs hinter dem Rücken der einzelnen Theologenvereinigungen
durchgeführt) mit einem denkbar vollständigen Mißerfolg
endete und den einzelnen "Theologen-Kränzchen" ein recht eindeutiges
und energisches Antwortschreiben der umgangenen Konvikts-direktoren einbrachte,
das auch die "Überstudentischen" recht schnell auf den Boden ihrer
theologischen Existenz zurückführte.
Für Rhenofrankonia brachte diese Entwicklung keine Enttäuschung.
Was das Schreiben der Konviktdirektoren angeht, so sagt der Senioren-Bericht
auf der G.V. 1930, "und die darin angekündigten Änderungen für
das kommende W.S., so muß man selbst bei pessimistischer Betrachtung
betonen, daß etwaige unklare Befürchtungen für den Th.
und damit auch Rhenofrankonia unberechtigt sind; denn unserem inneren Wesen
nach sind wir weder mehr noch auch weniger als ein Freundschaftsbund katholischer
Theologen, der unser ganzes Leben dauert; und dies wird man in keiner Weise
und von keiner maßgebenden Seite ändern können noch überhaupt
wollen."
Unser Frohsinn verlangte nach keiner weiteren Anerkennung durch Universität
oder studentische Öffentlichkeit; in den Konvikten förderten
wir die neu aufkommende und betonte Semester- und Hausgemeinschaft, suchten
und fanden herzliche persönliche Beziehungen zu anderen Gruppen und
Richtungen; kannten stramme, kommentmaßige Kneipen und noch mehr
fröhliche Ausflüge in die Gegend - so gut wie jeden Mittwoch
und Sonntag - und wollten den Sport nicht verkümmern lassen; besonders
auch unsere Bu-C.'s (Budenkonvente) waren lebhaft und gemütlich, in
häufigen Fällen mit Überschreitung der "Polizeistunde" (besonders
wenn Lord seine begeisterten Ansprachen hielt)" und selten dagegen mit
anhängendem Protokoll; im übrigen wurde ganz eifrig studiert
und dem Problematisieren kein Übermaß gegönnt.
Domäne unseres Nachwuchses war besonders Düsseldorf; hinzu
kamen eine große Zahl Kölner, denen die Colonia zu "wässerig"
war, und andere, die wir u. U. den mehr lokal gebundenen Assinden, Wipperen,
Alkuinen, Montanen, Selfkanten, Guelfen usw. wegfischten. Besondere Konkurrenz
verband uns mit den ähnlich "überlokalen" Burgunden und in einer
anderen Weise mit den Neudeutschen, die gerade damals sich ihrem Pater
Esch zu entziehen begannen und von Forderungen wie Rauchverbot u. a. eifrig
abgingen. Die Zahl unserer Aktiven bewegte sich um dreißig und war
gerade recht; mit der Rezeption von 12 Neufüchsen, z.B. im S.S. 30,
hatten wir zwar die anderen Bündnisse alle überflügelt,
aber zugleich eigentlich auch die günstigste Nachwuchszahl für
ein Jahr ein wenig überschritten; allerdings waren es ja auch Jahre
eines reichen Theologensegens, so daß bald ein numerus clausus auch
für Theologen eingerichtet wurde (eine Notwendigkeit, von der uns
dann zwar das Dritte Reich bald befreite).
Außer unserer theologischen Haltung und Form hatten wir als Verbindung
nicht den Ehrgeiz einer besonderen "geistigen Linie", die uns von anderen
besonders hätte absetzen sollen; und das kam unserem menschlichen
Verhältnis - glaube ich - sehr zustatten; wir waren Weggefährten
und Freunde und sind es geblieben und freuen uns nun aller jungen Freunde,
die uns nicht alt werden lassen.
Über die zunehmenden Widerstände im Dritten Reich und die
schwere Krisenzeit unserer Verbindung konnte uns A.H. Haaß
wertvolle Einzelheiten berichten:
Auf der G.V. in Köln am 29. September 1937 wurde der Entwurf einer
neuen Satzung vorgelegt, ein Zeichen, daß man genötigt war,
den veränderten Zeitverhältnissen Rechnung zu tragen. Inzwischen
machte sich der Druck der Gestapo auf die studentischen Verbindungen im
allgemeinen und auf den kirchlichen Sektor im besonderen immer stärker
bemerkbar, so daß der damalige Erzbischof Karl Josef Kardinal Schulte,
um Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, die Theologenverbindungen aufhob.
Man faßte zwar diese Anordnung allgemein so auf, daß damit
nicht auch die Aufhebung der Altherrengemeinschaften ausgesprochen war,
aber die Lage wurde jedenfalls für die Aktivitas sehr schwierig.
In Erkenntnis dessen beschloß die Generalversammlung, die am 5. Oktober
1938 im Karl-Joseph-Haus in Köln tagte, Rhenofrankonia aufzuheben.
An ihre Stelle trat die religiöse Arbeitsgemeinchaft St. Canisius.
Alles, was an eine Studentenverbindung erinnerte, sollte in Wegfall kommen.
Um das Vermögen vor einem Zugriff der Gestapo zu sichern, wurde der
Studienfond (3300,- an Forderungen - ausstehende Darlehen - und 400,- in
bar) dem Erzbischöflichen Stuhl übertragen (Vertrag vom 3. November
1938), wobei das Verfügungsrecht einigen näher benannten A.H.A.H.
vorbehalten wurde. Der so geschaffene St.-Canisius-Fond sollte zur
Unterstützung bedürftiger Priester und Priesteramtskandidaten
der Erzdiözese Köln und der Diözese Aachen dienen.
Im Dezember 1938 kamen die neuen Statuten der religiösen Arbeitsgemeinschaft
St. Canisius heraus. So hatten wir uns nach besten Kräften bemüht,
unseren Freundschaftsbund über die kommenden schweren Jahre hinaus
zu erhalten, und es gelang. Im Herbst 1939 fand wegen des Kriegsausbruchs
keine jährliche Zusammenkunft (G.V.) statt. Aber im Jahre 1940
trafen wir uns am 24. Juli in Düsseldorf (Pfarrheim St. Peter).
Aus den Reihen der Studenten wurden Vorschläge gemacht, die eine weitgehende
Umstellung des inneren Lebens der Verbindung zum Ziele hatten. Aber
die Pars sanior war schließlich doch der Meinung, man solle wenigstens
warten, bis die Kriegsteilnehmer zurückgekehrt seien.
Die letzte Jahresversammlung während des Krieges fand am 24.
September 1941 in Köln statt. Es waren ungefähr 60 Bundesbrüder
erschienen ein schönes Zeichen für den Zusammenhalt unseres Bundes.
In den folgenden Kriegsjahren waren keine größeren Veranstaltungen
mehr möglich. Wohl war der Philistervorstand dauernd bemüht,
die Verbindung zwischen Front und Heimat und die Verbindung mit den A.H.A.H.
durch regelmäßige Mitteilungen aufrechtzuerhalten. Beurlaubungen
einzelner Kriegsteilnehmer für ein Studienjahr waren ebenfalls Anlaß,
frühere Verbindungen wieder enger zu knüpfen. Es war für
uns alle eine große Freude, als am 1. Mai 1942 unser lb. Bbr.
Dr. Josef Frings, bis dahin Regens des Priesterseminars, zum Erzbischof
von Köln erhoben wurde. Noch mehr fühlten auch wir alle
uns mitgeehrt, als dem Genannten am 18. Februar 1946 die Würde
des Kardinals verliehen wurde. Diesmal konnten wir, anders wie 1942, unsere
Glück- und Segenswünsche wieder unter dem alten, ehrlichen Namen:
der Rhenofrankonia aussprechen. Es dauerte allerdings einige Zeit, ehe
Rhenofrankonia nach dem ungeheueren Zusammenbruch 1945 zu neuem Leben erwachte.
Wie sich die Auflösung der Rhenofrankonia im Konvikt auswirkte,
zeigt uns E. Lieberz:
Ich war in Bonn in der Zeit von 1936-1940, unterbrochen durch ein halbes
Jahr Arbeitsdienst. Es war die Zeit, in der alles studentische Leben
in der althergebrachten Form mehr und mehr zurückgedrängt, zum
Teil sogar verboten war. Obwohl die Theologenverbindungen damals nicht
direkt unterdrückt wurden, glaubte die Konviktsleitung damals vorbeugen
zu müssen und löste alle damaligen Verbindungen auf, die dann
allerdings unter anderen Namen, meist unter irgendeinem Heiligennamen,
weiterlebten. So auch mit unserer Vereinigung, die sich damals St.-Canisius-Arbeitsgemeinschaft
nannte. Tatsächlich hat unsere Innung damals auch den Versuch
gemacht, den Charakter der religiösen Arbeitsgemeinschaft mehr zu
betonen, ohne dass dadurch etwas von amicitia und üblichen Veranstaltungen
zu kurz gekommen wäre. Vorallem A.H. Müller aus Buschdorf,
der damals "erwerbslos" war, da ein Geistlicher keine nichttheologischen
Vorlesungen halten durfte, kam damals regelmäßig zu uns.
Jedenfalls hat unsere Vereinigung sich nicht kleinkriegen lassen, wenn
sie auch ihren Namen ändern mußte. Andererseits spürten
wir doch auch in unseren eigenen Reihen, daß eine andere Zeit gekommen
war. Zwar hielt man noch vielfach an den alten überkommenen studentischen
Traditionen fest, aber keiner nahm sie mehr ernst, faßte sie vielmehr
als Mimik auf.
Dann kam der zweite Weltkrieg. Er wirkte sich sofort nachhaltig auf
das Verbindungsleben aus, weil die Bonner kath. theol. Fakultät
vorübergehend ihre Tore schloß. Aber auch das zerstörte
das Band der amicitia nicht. So schreibt Th. Fluck:
In die Zeit vom Wintersemester 1937/38 bis Sommersemester 1939 fällt
die Auflösung der Vereinigungen katholischer Theologen in den Bonner
Konvikten. Ein Zeichen der Zeit, die durch das totalitäre Regime des
Nationalsozialismus gekennzeichnet war. Was aber in jahrelanger Gemeinschaft
in den Bonner Theologenverbindungen gewachsen war, konnte nicht so einfach
ausgerottet worden. Und so lebten die Theologenverbindungen in beiden
Bonner "Kästen" weiter als "Religiöse Arbeitsgemeinschaften".
Seit der G.V. in Köln im Sommer 1938 war V.k.Th.Rhenofrankonia als
"Religiöse Arbeitsgemeinschaft St. Canisius" in beiden Konvikten tätig.
Eifriger noch als vorher wurden religio, scienta, amicitia gepflegt.
Durch den Kriegsausbruch im September 1939 kam es zur Schließung
der Bonner Katholischen Fakultät.
So setzten die damaligen 1.-6. Semester ihre Studien an der Erzbischhöflichen
Akademie in Paderborn fort, während die beiden oberen Semester in
Bonn blieben und hier im Kasten ihre Vorlesungen besuchten. In diesem
Trimester 1939 war zwar unsere Gemeinschaft örtlich getrennt, doch
verband die Paderborner und Bonner ein reger Briefverkehr. Nach der Rückkehr
der Paderborner aus dem Exil - im Januar 1940 öffnete in Bonn wieder
die Universität ihre Pforten - wurden alle Theologen im Collegium
Leoninum untergebracht, da schon viele von uns zu den Waffen gerufen worden
waren. Das Collegium Albertinum lag anfangs leer, später erhielt
es Einquartierung. Im ersten und zweiten Trimester 1940 mussten viele
den Waffendienst antreten. Immer kleiner wurde die Zahl der Theologen
im Leoninum, aber auch die Zahl der Bbr.Bbr. in der Arbeitsgemeinschaft
St. Canisius. Diese Schwierigkeiten wurden noch größer
in dem dritten Trimester 1940 und ersten Trimester 1941 durch eine neue
Anordnung des Konviktsvorstandes, nach der alle Arbeitsgemeinschaften,
die eben doch als verkappte Verbindungen erkannt worden waren, aufgelöst
werden sollten. Aber unentwegt hielten die vier bis sechs restlichen Aufrechten
der Arbeitsgemeinschaft die Aktivitas im Leonium am Leben. So wurde die
Arbeitsgemeinschaft St. Canisius, d. h. die V.K.Th. Rhenofrankonia, hindurchgerettet
in die späteren Semester. In der schwersten Übergangszeit aber
hat in der Aktivitas immer lebendiger Rhenofrankonengeist gelebt.
Die Stürme des Krieges tobten, viele Rhenofrankonen mußten
zum Waffendienst, aber sie hielten der Rhenofrankonia die Treue, und die
Bbr. in der Heimat sorgten dafür, daß das Leben der Verbindung
nicht abriß. In diese schwere Krisenzeit öffnet uns der
Bericht des K. Manlangré trotz seiner Schlichtheit einen tiefen
Blick:
Um es gleich zu sagen: unsere Verbindung hat nicht nur die Kriegsjahre
"überstanden", sie war auch die einzige Studentenverbindung, die immer
auch bei kleinster Theologenzahl aktive Mitglieder in Bonn besaß.
Wenn auch einer nach dem anderen Abschied nehmen mußte, um den Weg
zum "Dreikaisersaal", dem berüchtigten Bonner Gestellungslokal, anzutreten
- immer gab es in Bonn Bundesbrüder, denen es hohe Aufgabe war,
die Verbindung mit den Bundesbrüdern im Felde aufrecht zu halten.
Da wurden Briefe geschrieben, Päckchen versandt und Kleinschriften
ins Feld geschickt. Die größte Freude war immer, wenn einer
von ihnen im Urlaub das geliebte Bonn besuchte, und man ein paar Stunden
zusammen sein konnte. Dann ging es hinauf zu "Tante Klara" nach Ippendorf
oder zur "Frommen Helene" nach Oberkassel. - Und der größte
Schmerz war, wenn der Direktor des Konviktes Namen gefallener Theologen
bekanntgab und unter ihnen ein Bundesbruder war. Manchmal haben wir
das Requiem gesungen und konnten fast nicht glauben, daß der frohe
Bundesbruder nicht mehr heimkehren würde. Die Aktivitas aber
hielt sich trotz größter Schwierigkeiten im Hause und an der
Universität. Nicht zuletzt ist das jenen A.H.A.H. zu verdanken,
die immer wieder hilfreich mit Rat und Tat bereit waren. Viele Stunden
haben wir zusammengesessen und über theologische Probleme, vor allem
über liturgische Fragen gesprochen und darüber, wie einmal alles
werden würde, wenn endlich der Krieg zu Ende wäre. Dann
wurde es immer schwerer, die Zahl der Aktiven immer kleiner. Schließlich
wurde das Leoninum zerstört, die Universität vernichtet, und
die wenigen Theologen setzten ihr Studium in Eichstätt fort.
Der Krieg nahm ein Ende, und aus der "Arbeits-gemeinschaft St. Canisius"
konnte wieder die Theologenverbindung "Rhenofrankonia" werden. Wir
verdanken es unserem Schutzpatron dem hl. Petrus Canisius, und unseren
Prinzipien religio, scienta, amicitia!
Wie gesagt, der Krieg zerstörte vieles, aber die Rhenofrankonia
blieb, ja sie lebte neu auf, und eine mutige Aktivitas suchte neue Formen,
davon gibt uns H. Jorissen ein beredtes Zeugnis:
Rhenofrankonia rediviva. In den Annalen Rhenofrankonias kommt der Zeitspanne
unmittelbar vor bis nach dem zweiten Weltkrieg eine besondere Bedeutung
zu als dem bisher tiefsten Einschnitt in das Leben unserer Vereinigung;
aus einer Zeit größter Bedrohung ihres Weiterbestehens (teilweise
sogar eines erzwungenen Stillstandes) führt der Weg zu wieder neuem
Beginnen; davon wollen die folgenden Zeilen erzählen:
Unter dem Druck der Zeitverhältnisse sah sich die G.V. 1938 genötigt,
Rhenofrankonia als Verbindung aufzulösen. Zwar führte die
Aktivitas in den folgenden Jahren, wenn auch in aller Stille, unter dem
Decknamen "Religiöse Arbeitsgemeinschaft St. Canisius" allen Schwierigkeiten
zum Trotz - nicht zuletzt seitens der Konviktsleitung ("Keilen" war streng
verboten) - die Tradition weiter - während der Jahre 1941 bis Anfang
des S.S. 1944 praktisch als einzige Verbindung - und versuchte so, wenigstens
deren innere Kontinuität zu wahren; dennoch mußte infolge des
äußeren Einschnittes auf die lange Dauer eine Lockerung auch
im inneren Gefüge der Tradition eintreten, um so mehr, als der Krieg
nach und nach die "Alten", die noch lebendig in ihr standen, aus der Aktivitas
heraus und die immer kleiner werdende Zahl notwendig eine Stagnation des
Verbindungslebens mit sich brachte. Schließlich zerriß der
"totale Krieg" Ende des W.S. 1943/44 auch noch das letzte äußere
Band.
Im Sommer 1945 kehrten die ersten zurück (Josef Verhoff v. Jodokus;
Norbert Spicher v. Dax); im W.S. 1946/47 kamen zwei dazu (Alfred Schilling
v. Illo und Hans Jorissen v. Fips). Die ersten, wenn auch bescheidenen
Bedingungen zu neuem Anfang waren damit gegeben. Anfangen, aber,
wie? Es war keine leichte Aufgabe, zumal wir alle von der alten Tradition
wenig mitbekommen hatten. Zudem lag - ähnlich wie nach dem ersten
Weltkrieg durch die aufkommende Jugendbewegung - eine nicht geringe Ablehnung
aller früheren Formen studentischer Vereinigungen in der Luft, verstärkt
noch durch eine - aus der Psychologie des Kriegsteilnehmers und Heimkehrers
verständliche - reaktive Einstellung gegen äußere Bindungen
und eine damit zusammenhängende Gemeinschaftsmüdigkeit. Auf den
ersten BC's wurde lebhaft diskutiert. Hat die Verbindung noch einen
Sinn? Verträgt unsere Zeit noch die alten Formen? So und ähnlich
lauteten die Fragen, die uns beschäftigten. Es galt, einen völlig
neuen Zugang, zur Verbindung zu finden und sich über Ziel und Weg
klar zu werden. Wenn wir nun als Ergebnis unserer Beratungen ein volles
Ja zur Verbindung sagten, so geschah das keineswegs aus Gründen eines
bloßen Traditionalismus, sondern einzig und allein aus der Einsicht
in die Sinnhaftigkeit der Verbindung auch in unserer Zeit, aus der Einsicht
in ihren personbildenden und gemeinschaftsformenden Wert. Wir waren
uns allerdings darüber im klaren, daß wir - wenigstens zunächst
- die alten Formen nicht einfach übernehmen konnten. Viele von
ihnen sprachen uns kaum oder gar nicht mehr an. Die Statuten hatten
für uns die abschreckende Wirkung einer Zwangsjacke, die wir uns nicht
anlegen wollten; zu einem streng nach Statuten geordneten Verbindungsleben
konnten wir uns deshalb - aus Furcht vor Erstarrung und Verkrampfung nicht
entschließen – Vor allem FM und FC, Burschungsexamen und dergleichen
wurden im Anfang aufs schärfste bekämpft. Jeder äußere
Zwang, auch nur der Anschein dazu, wo durch wir - infolge des nach dem
Zwang der vergangenen Jahre aufgebrochenen Freiheitsdranges - uns nur selbst
den Weg zu einem neuen Aufblühen der Verbindung verbaut hätten,
sollte von vornherein vermieden werden. Andererseits waren wir jedoch der
Überzeugung, daß es uns nicht zustehe, die überkommenen
Traditionen und Satzungen einfach abzuschaffen; wir versetzten sie daher
vorerst nur in den "Wartestand"; die kommende Entwicklung sollte darüber
entscheiden. - Worauf es uns bei unserem neuen Beginnen vor allem ankam:
in der Pflege der amicitia ein tragfähiges Fundament für eine
gedeihliche Entwicklung zu legen und echtes freundschaftliches Zueinanderstehen
das einzige Formprinzip sein zu lassen auch im Hinblick auf die äußere
Gestalt des Verbindungslebens. Die kleine Schar, mit der wir begannen,
legte diesen Modus besonders nahe. Wie recht wir hatten, zeigte der rasche
Aufstieg, den unsere Verbindung schon bald nahm. Es war nämlich
auf diese Weise eine Atmosphäre geschaffen worden, die jeden, der
neu in unseren Kreis eintrat, sich bald bei uns wohlfühlen ließ.
Die Entwicklung insgesamt kann gekennzeichnet werden als ein allmähliches
Wachsen, das von der anfänglichen Ungebundenheit frisch aufbrechenden
Lebens ganz von selbst auch zur Konsolidierung der äußeren Ordnung
hinstrebte. Hatten wir bei unseren ersten Überlegungen über
das "Wie" des Neubeginns in einer sicherlich oft extremen Weise viele Formen
des Verbindungslebens als unzeitgemäß verwerfen wollen, so zeigt
doch die spätere Entwicklung, daß dieser freiheitliche Drang
gegenüber der Haltung eines krampfhaften Festhaltenwollens insofern
sein Gutes hatte, als er uns in der amicitia zunächst einen tragfähigen
Grund legen und von da aus allmählich den Sinn einer gefügten
Ordnung begreifen ließ. Waren wir so auf der einen Seite davor bewahrt,
unsere Gemeinschaft in eine starre Form hineinzubauen, für die wir
zunächst kein Verständnis aufbringen konnten, und waren wir deshalb
gezwungen, sie von innen her als Freundschaftsbund zu festigen, so zeigte
sich andererseits schon bald, je mehr wir an Zahl zunahmen, die Notwendigkeit
eines festen Gefüges, und was anfangs überflüssig erschien,
wurde uns wieder sinnvoll als schützende Hülle für eine
auch über uns selbst hinausreichende Einheit und Kontinuität
der Verbindung. FM und FC sind längst keine Probleme mehr (sie werden
sogar, je mehr wieder junges Volk frisch von der Schulbank zu uns stößt,
in ihrer positiven Bedeutung immer mehr erkannt werden müssen); selbst
das Burschungsexamen wurde wieder eingeführt und auch die Pflege der
scientia gewann - nach einigen guten Vor- und Ansätzen wieder - ihren
alten Platz zurück.
So fanden wir im wesentlichen während der ersten drei Semester
Schritt für Schritt wieder Zugang zur äußeren Gestalt der
Verbindung (soweit sie sich unter den gegebenen Umständen verwirklichen
ließ). Wir haben sie nicht ungeprüft übernommen; indem
wir aber ihren inneren Gehalt gleichsam neu eroberten, wurde sie uns wieder
sinnerfüllt. Als eines der wichtigsten Ergebnisse dieses Entwicklungsganges
aus anfänglicher Formfreiheit zu allmählicher Festigung der äußeren
Ordnung aber verdient besonders hervorgehoben zu werden die richtige Einschätzung
des Verhältnisses zwischen äußerer Form und innerem Leben
einer Gemeinschaft. Wir konnten nun auf Grund des eben kurz skizzierten
Werde-prozesses der äußeren Ordnung den ihr einzig zukommenden
Platz zuweisen: Wir räumten ihr nie die erste Stelle ein, sondern
achteten sie, in ihrer dienenden Funktion als notwendige Ordnungsform,
belebt von der amicitia als der alles durchwaltenden Seele.
Über aller künftigen Entwicklung möge darum die Aufgabe
stehen, in dem stets bleibenden Spannungsverhältnis zwischen
Leben und Form immer den rechten Ausgleich zu erstreben. Nie kann
ja die Form von sich aus Gemeinschaft begründen; wohl kann sie umgekehrt
zu einer Gefahr werden infolge ihrer Tendenz, sich zu verfestigen und zu
erstarren und so das Leben zu hemmen und seine Entfaltung zu hindern. Um
dieser Gefahr zu entgehen, muß deshalb das von echter amicitia (im
Sinne von innerer Verbundenheit in gemeinsamem Streben zum Ziel, in gegenseitiger
Förderung und Hilfsbereitschaft) geformte Leben der Gemeinschaft immer
erneut die Form lebendig erhalten; m. a. W.: Das Ordnungsverhältnis
zwischen Leben und Form muß stets neu in den Blick genommen werden,
um sich so die nötige Aufgeschlossenheit auch neuen Aufgaben und Anforderungen
gegenüber zu bewahren; denn das heißt ja nicht Tradition pflegen,
die überlieferten Formen nur deshalb festhalten zu wollen, weil sie
einmal gültiger Ausdruck des Lebens waren; Tradition pflegen heißt
vielmehr, aus deren inneren Gehalten und Formkräften heraus die jeweilige
Situation zu gestalten im - Geiste der Tradition.