1969
Dieser Brief eines aktiven Mitgliedes an den damaligen Philistersenior der Verbindung spiegelt die großen Umwälzungen im Zeitgeist wieder, welche jener Zeit zur Einstellung der aktiven Arbeit der Rhenofrankonia führte. Die Probleme damals unterschieden sich jedoch von denen, welche heute den Fortbestand gefährden...

MEINUNG EINES BUNDESBRUDERS                                                  30.04.1969

Lieber AH,  lieber Brundesbruder!

Schon die Tatsache, daß Rhenofrankonia am 21.5.69 ihren 7o.
Gründungstag feiert, ist Anlaß genug, sich über die augenblickliche Situation und die Zukunft der Verbindung ein paar Gedanken zu machen.
Daneben ist das Verbindungsleben, soweit es uns Studenten betrifft an einem Punkt angekommen, der die Frage aufwirft, wie es weitergehen soll: in ganz Bonn eine Handvoll, zum größten Teil inaktiver Rhenofrankonen, von denen im nächsten Semester nur noch drei (nur einer im Leoninum, niemand mehr im Albertinum) übrigbleiben wird.  Die Aussicht auf Zuwachs ist sehr gering, da eine Verbindung insbesondere eine Theologenverbindung, den heutigen Abiturienten nicht mehr attraktiv erscheint. (Vom letzten Abiturjahrgang trat im Leoninum so gut wie keiner einer Theologenverbindung bei.)
Also muß die Verbindung attraktiver werden, wenn sie noch eine Überlebenschance haben will?
Mehr Geld für die Aktivitas? Nein, wir verfügen aber so viel Geld, daß eine Erhöhung des Etats der Größe der Aktivitas unangemessen wäre.  Daran liegt es also nicht.
Müßte man die Struktur der Verbindung ändern, die alten Zölpfe, abschneiden, die Prinzipien ändern, dem Kreis der Studenten noch größere Unabhängigkeit von den AHAH einräumen?  Selbst dieses Reformprogramm könnte unsere Lage kaum entscheidend verändern, da sich in Bezug auf die obigen Punkte im Laufe der letzten 6 Semester bereits eine weitgehende Freiheit durchgesetzt hat.
Selbst wenn wir unseren Namen änderten, jegliche Erinnerung an ein - bei den meisten Abiturienten von vornherein suspekte Verbindung auslöschten wäre Rhenofrankonia dadurch zu retten? Wohl kaum! Mit Recht wirst Du sagen: ihr seid zu wenig attraktiv weil bei euch nichts los ist, weil ihr ein langweiliger, träger einfallsloser Verein geworden seid, und das zu ändern liegt allein bei euch!
Wir müssen dem zustimmen zugleich müssen wir aber auch fragen, wieso es dazu gekommen ist.  Denn als wir eintraten, war Rhenofrankonia noch ein attraktiver -Kreis.  Wären wir sonst wohl eingetreten?
Durch die veränderte Situation in den Konvikten ist es jedem Theologen möglich, sich einer studentischen Gruppe außerhalb anzuschließen (freie Verbindungen, Arbeitsgemeinschaften o.ä.). Dadurch ist das Interesse an Theologenverbindungen natürlich gesunken. Ein viel entscheidenderer Faktor aber ist, dass eben die gleiche neue Situation in den Konvikten die Bildung verschiedener Kreise einschließt, die von reinen Arbeitskreisen bis zu Meditationskreisen reichen.  Allen diesen ist gemeinsam, daß sie sich unter einem bestimmten Zweck gebildet haben, und daß Man diesen Kreis verläßt, bzw. er sich selbst auflößt, wenn sinnvolle Arbeitsbasis nicht mehr gegeben ist.  In solchen Kreisen findet man seine Freunde, mit ihnen feiert man, mit ihnen erholt man sich; was hätte demgegenüber eine Verbindung mehr zu bieten ?
Könnte man dann nicht die Verbindung zu einem solchen Arbeitskreis umstrukturieren? Aber ein solcher Kreis ist dadurch ausgezeichnet, daß er eine relativ spontane Schöpfung ist, während eine Verbindung mehr statischer Natur ist, ist sie doch so konzipiert, daß sie fortbestehen bleibt. Wenn man einmal eingetreten ist, so tritt man nicht mehr einfach aus, weil einem die Leute nicht mehr passen!
Wer aber will im ersten Semester wissen, ob er mit den Kommilitonen, deren Verbindung er beitritt, in zwei, drei Jahren noch sinnvoll zusammenarbeiten kann?

Aus einer Arbeitsgemeinschaft – die sowieso nicht auf Dauer eingerichtet ist - würde man bedenkenlos austreten, aber einer Verbindung brächte eine solche lockere Bindung der Mitglieder untereinander schon nach wenigen Semestern das sichere Ende.
Wir wollen nicht leugnen, daß wir viele schöne Stunden in der Verbindung erlebten, daß die Verbindung und gerade in den ersten Semestern leicht Kontakt zu älteren Studenten ermöglichte, daß wir bei AH-Besuchen viel Freude gehabt und manches fruchtbare Gespräch geführt haben. Niemand von uns dürfte es bereuen, Rhenofrankonia beigetreten zu sein.
Können wir aber noch jemandem mit gutem Gewissen raten, der Verbindung beizutreten? (und hier liegt der eigentliche Grund,  weshalb es um die Aussicht auf Nachwuchs so schlecht bestellt ist!)
Im ersten Semester schließt man sich einer Gruppe an, ohne zu wissen, wofür man sich ein paar Semester weiter interessieren wird.  Durch Interessenverschiebungen gewinnt man neue Freunde, schließt sich anderen Kreisen an, bis einem die Arbeit in der 'Verbindung als lästig und nutzlos erscheint, man jedes Engagement in ihr von sich weist, bis schließlich die Verbindung, da ja bald alle so denken, ein langweiliger, einfallsloser Verein geworden ist, der weder lebt noch ganz tot ist.
Diese Erfahrung wollen wir unseren Kommilitonen ersparen, sie deshalb nicht mehr für die Verbindung werben.
Sollte man nicht auf diesem Stiftungsfest einen Schlussstrich unter die Entwicklung der Verbindung ziehen und so dem sicheren Einschlafen der Rhenofrankonia zuvorkommen, die Aufgabe der nunmehr 69 Jahre alten Stiftung als erfüllt ansehen?
 

gez.