Was ist eigentlich eine Persönlichkeit? Darüber kann man dicke Bücher schreiben. Man kann aber auch die Antwort an beispielhaften Gestalten des Zeitgeschehens ablesen. Diesen Weg geht der Bonner Kunsthistoriker in dem neuen Herderbüchereiband Nr. 668 ,Persönlichkeiten', aus dem wir hier ein besonders gelungenes Stück abdrucken: Heinrich Lützelers Begegnungen mit dem Kölner Kardinal Frings.
Persönlichkeiten haben etwas Ursprüngliches. Aus ihrer
Ursprünglichkeit blicken sie über sich hinaus und stehen für
allgemein Bedeutsames ein. Sie vermögen es nur darum, weil sie
unbedingt sie selber bleiben. Solche Gaben und Taten können
sich überall entfalten - in der Familie, der Wirtschaft, der Politik,
keineswegs nur in den Wissenschaften, im Bereich des so genannten objektiven
Geistes, sondern gerade auch in der Praxis. Oft freilich bleibt dies
verborgen oder ist nur eine Zeit lang bekannt. Oft finden die Persönlichkeiten
der Praxis nicht die angemessene Darstellung ihrer Eigenart und die lebendige
Überlieferung ihrer Leistung. Dann verblasst ihre Erscheinung
schon kurz nach ihrem Tode und sie werden unanschaulich; sie sind bald
vergessen.
Joseph Frings wurde 1887 in Neuß als Sohn eines Fabrikanten geboren.
Er war unter vielen Aspekten in der Seelsorge tätig und lernte dabei
u.a. Arbeiter, Bauern und Waisenkinder gründlich kennen. Er
war 55 Jahre alt, als der Papst ihn 1942 zum Erzbischof von Köln ernannte.
Die Nazis verboten damals jeglichen Bericht über den Weihegottesdienst
im Kölner Dom, den 20 000 Menschen füllten. Aber zufällig
fand sich hinterher doch ein Hinweis und zwar im Anzeigenteil einer Zeitung:
,Handtasche bei der Bischofsweihe im Dom verloren mit Bild meines Bräutigams
und 20 Mark. Nur um Rückgabe des Bildes wird gebeten.'
Frings war schon als Pfarrer mit den Nazis aneinander geraten; im Verlauf
der Auseinandersetzung warf ihm 1931 ein Mann einen Aschenbecher an den
Kopf, der eine noch heute sichtbare Narbe hinterließ. Der Mann
war der spätere NS-Oberbürgermeister von Köln. Am
12. März 1944 hält Frings eine scharfe Predigt gegen die Verletzung
der Menschenrechte bei der Verfolgung und Ermordung der Juden, wovon man
damals erst spät Kenntnis erhalten hatte. Auf Köln konzentrierten
sich schon lange die Fliegerangriffe im Zweiten Weltkrieg. Frings
sorgte unermüdlich für Bombengeschädigte und Flüchtlinge.
Er selber verlor mehrere Male sein Heim, schlief, das Allerheiligste auf
einem Hocker neben sich, im Kohlenkeller, erlebte einmal neben sich den
Tod zweier Ordensschwestern und flüchtete schließlich mit einem
Köfferchen und einem Stahlhelm als letzten Besitz aus dem brennenden
Haus zu Verwandten. Auch in den äußersten Schrecknissen verloren
die Kölner nicht ihre Lebenskraft. Vor einem völlig ausgebrannten
Haus stellte einer in schwarzem Humor eine Tafel mit der Inschrift auf:
„In diesem Hause findet am 31. Dezember 1945 eine Silvester-Feier statt;
Fußboden bitte mitbringen.“ Vor dem von Bomben durchlöcherten
Kölner Dom wurde 1945 ein Silvestergottesdienst veranstaltet.
Inmitten der Trümmer strömten Massen von Menschen trotz Kälte
und Hunger zusammen - einfach weil sie über den Krieg hinaus leben,
weil sie endlich wieder Lebenswertes erleben wollten. An der Spitze
des Domkapitels trat der Erzbischof in großem Ornat vor das Portal
des Domes. Feierlicher Chorgesang begleitete ihn. Da hob Frings überwältigt
den Bischofsstab leicht an und rief: „Pruß Neujohr!“ Unendlicher
Jubel! Erst nach geraumer Zeit konnte der Chor liturgisch weitersingen:
„Jube, Domine, benedicere!“
Frings gewann nicht zuletzt seine Kraft aus seiner rheinischen Natur,
die er selbst bei feierlichen Anlässen mit leise rheinischem Akzent
zur Geltung kommen ließ. Als er 1950 aus dem wiederhergestellte
Seitenschiff der Kölner Kirche St. Maria im Kapitol mit Gefolge
herauskam und im Spalier einen kölschen Jungen stehen sah, der beide
Hände in den Taschen hielt, schwenkte der Kardinal aus der Prozession
aus, reichte dem Jungen die Hand und fragte lächelnd: „Häß
do immer de Häng en de Täsch?“ Diesen volkstümlichen Mann
nennen die Kölner stolz „unseren Frings“ oder, noch herzlicher, "ons
Jüppche“. Als einmal zwei Jungen auf der Straße zu ihm
traten und sagten: „Mer (wir) kenne Üch“, antwortete er: „Dann sagt
et ävver keinem wigger (weiter)!" An der Spitze des Kölner Karnevals
steht das „Dreigestirn“: Prinz, Bauer und Jungfrau, welch letztere von
einem Mann dargetellt wird. 1967 empfing Frings das Dreigestirn, um von
ihm einen Fastnachtsorden entgegenzunehmen; auch so nahm er das Leben ernst.
Der 1946 zum Kardinal Ernannte trat entschlossen auch der Besatzung
entgegen und nannte Plünderungen, Morde, Hungersnot, Vertreibungen
beim Namen. Er bat den britischen Stadtkommandanten von Köln,
deutsche Familien nicht zu Gunsten britischer aus ihren Wohnungen zu verjagen:
„Sollte meiner Bitte nicht willfahrt werden, so bitte ich, vor dem Hause
Bayenthalgürtel 31, in dem ich mit meinen Angehörigen zur Miete
wohne, nicht haltzumachen. Ich werde dann versuchen, in den Trümmern
des Erzbischöflichen Palais an der Gereonstraße mich einzurichten."
Er trat für die Rückführung der Kriegsgefangenen, wenigstens
für ihre sofortige menschenwürdige Behandlung ein. Er predigte
in der Londoner Westminsterkathedrale gegen die These von der Kollektivschuld
Deutschlands, in Einsiedeln, Utrecht, Lourdes für die Überwindung
der alliierten antideutschen Haltung. Es ging auf ihn zurück,
dass in Kanada ein „Kardinal-Frings-Fonds“ für die Not leidende deutsche
Bevölkerung gegründet wurde; er bat dort u. a. um Windeln für
die Kinder und fügte hinzu: „Es können auch Servietten sein.“
Als hochbeladene Züge in ununterbrochener Folge Kohlen zu den Alliierten
fuhren, entschied er, dass, wenn sich jemand in der harten Kälte von
den Wagen etwas Hausbrand nehme, dies ein Akt berechtigter Notwehr sei.
Man nannte das damals nicht „stehlen“, sondern „fringsen“. Das „Wörterbuch
der deutschen Umgangssprache“ bemerkt dazu: „fringsen: in der Not zur Selbsthilfe
greifen, auch bei offenem Verstoß gegen behördliche Anordnungen.
Bezieht sich auf eine Äußerung des Kölner Kardinals Frings
nach 1945, der beispielsweise das Ausrauben der Auslandszüge mit deutscher
Kohle durch Familien ohne ausreichenden Hausbrand als einen ‚Akt berechtigter
Notwehr‘ verteidigt hat. Rheinisch zwischen 1945 und 1948.“ Noch in einem
amerikanischen Buch von 1976 klingt der Groll der Besatzungsmächte
gegen Frings nach.
Was er an Unterstützung in abschüssiger Zeit aus der Welt empfangen hatte, suchte er der Welt zurückzugeben durch die Gründung der Hilfswerke „Misereor“ für die Entwicklungsländer seit 1959 und „Adveniat“ für Lateinamerika seit 1961. So blieb sein Blick nicht nur auf Europa beschränkt, sondern ging nach Indien, Japan, Vietnam, Südafrika. In vielen Ländern sprang er den Menschen bei und machte ihnen Mut, wie er nach 1945 den Kölnern Mut zu einem neuen Leben gemacht hatte. Um so mehr bedrückte ihn im heutigen Europa der Materialismus: Geld und Genuss als letzte Werte.
Frings ist klein und schmal. Er hat ein scharf geschnittenes,
hageres Gesicht. Er blickt die Menschen gütig, aber zugleich
auch lustig-listig an. Er schwimmt gern. Er ist musikalisch,
spielt selber Geige und hat auch für neue Musik etwas übrig.
Noch als 66-jähriger bestieg er 1953 einen Viertausender in den Walliser
Alpen, was sich zum ersten Mal bei einem Kardinal ereignete. Er kennt
und liebt Shakespeare. Seit 1969 verdüsterte sich sein persönliches
Schicksal: er erblindete immer mehr.
Eine Zeit neuer höchster Anspannung begann für ihn mit dem
Zweiten Vatikanischen Konzil, das in den Jahren 1962 bis 1965 sich um die
Selbstbesinnung der katholischen Kirche, ihr Verhältnis zu den anderen
christlichen Kirchen und den Juden, um ihre Stellung in den Weltreligionen
und die Religionsfreiheit bemühte. Frings wurde einer der fortschrittlichsten
Führer; seine entschiedenen, in lateinischer Sprache gehaltenen Reden
schonten niemanden - weder die mächtige Kurie noch den manchmal schwankenden
Papst. Einmal heißt es in einem Bericht: "Die entscheidende
Intervention kam von Kardinal Frings". Als im Oktober 1964 das Konzil
das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen allzu
dürftig behandelte und unter seinen Teilnehmern deshalb geradezu eine
Krisis ausbrach, veranlasste er einen Brief an den Papst, der mit den Worten
,Magno cum dolore" (Mit großem Schmerz) begann und der den Papst
betrübte, ja tief beunruhigte. Er forderte ein Umdenken im Verhältnis
der Kirche zu den Juden; das Verhältnis von Kirche und Synagoge sei
ein Stiefkind der Theologie. Christus, der Gekreuzigte, habe die
Trennungsmauer zwischen Juden und Heiden niedergerissen. Er bedauerte,
dass viele Aussagen über die Kirche zu ausschließlich an juridischen
Aspekten hingen und sprach von der "kalten juridischen Härte" in vielen
Äußerungen der Kirche. Er hielt ihre Verwaltung, die Kurie,
für reformbedürftig: man solle doch die Verwendung von Bischöfen
und Priestern einschränken und mehr Laien heranziehen. Vor allem
aber kritisierte er scharf das Heilige Offizium, die älteste und oberste
Kardinalskongregation für die Reinerhaltung der katholischen Glaubens-
und Sittenlehre: seine Weise des Vorgehens sei in vielen Fällen dem
Empfinden unserer Zeit nicht gemäß, gereiche der Kirche zum
Schaden und errege bei Nichtkatholiken Anstoß. Kein wegen seiner
Glaubenshaltung Angeklagter dürfe verurteilt werden, bevor er und
sein Oberhirte gehört und die gegen ihn und seine Schriften vorgebrachten
Gründe mitgeteilt seien. „Die in diesen Forderungen liegende
Kritik an der Verfahrensweise des Heiligen Offiziums wies Kardinal Ottaviani
mit hoher Stimme zurück, blieb aber eine sachlich begründete
Widerlegung schuldig.“ Frings wandte sich gegen klerikale Vormundschaft
und bedauerte es, dass in vielen Dingen den katholischen Laien nicht der
gebührende Platz eingeräumt werde, nicht einmal in jenen Bereichen,
in denen sie sachverständiger als die Kleriker seien. Immer wieder
sprach er aus der fundamentalen Erfahrung, dass der Mensch heute nur noch
sich selbst begegne und dass von dieser Voraussetzung her die Kirche handeln
müsse.
Das weitgespannte Wirken von Frings ist darum so durchaus menschlich,
weil er selber menschlich ist und zwar in rheinischer Spielart.
Machen wir zum Schluss noch einige Mitteillungen dazu! Kardinäle haben
es schwer wegen der Würde. Einige werden darüber zur Rollenfigur
- steif wie der Stoff ihrer Mitra. Frings nicht. Er hat z.B.
außer mannigfachen Vorlieben, wie Schwimmen, Bergsteigen und Musizieren,
mitunter auch tadelnswerte Angewohnheiten; so kippte er eines Tages die
Zigarettenasche aus dem sommerlich geöffneten Fenster eines von Nonnen
verwalteten Hauses mit schöner Regelmäßigkeit in den Hof,
bis ihn die Nonnen höflich, aber bestimmt darauf aufmerksam machten,
dass er schließlich kein netter schlaksiger Junge sei, sondern Kardinal.
Frings verhält sich menschlich selbst dem Bischofsstab gegenüber.
Im Lexikon lesen wir, dass der Bischofs-, Hirten- oder Krummstab ein oben
spiralförmig geschwungener Stab ist, der, kunstvoll hergestellt, aus
edlem Metall besteht. Der Bischof trägt ihn bei feierlichen
liturgischen Handlungen, die Krümme dem Volk zugewandt, in der Linken
als Sinnbild des bischöflichen Hirtenamtes. Aber ein solcher
Stab gibt auch Transportprobleme auf. Der Kardinal fährt beim
Besuch einer Stadt an der Hauptkirche in vollem Ornat vor. Frings erzählte
mir, er könne sich nicht erst vor Ort hochliturgisch anziehen; das
behindere den Ablauf des Gottesdienstes. Doch wie den langen Hirtenstab
im Auto unterbringen? Eine Kölner Goldschmiedin hatte für
Frings einen besonders schönen Bischofsstab angefertigt und der war
außerdem praktisch; er ließ sich nämlich auseinanderschrauben.
Frings führte es mir persönlich vor. Ja, ihn erfreute sichtlich
die auseinanderzuschraubende Würde.
Joseph Frings hat eine gewinnende Unbefangenheit. Eines Tages kam zu
ihm in die Privataudienz ein gelehrter Mann namens Schäfer.
Frings öffnete die Tür, sah ihn und rief spontan: „Ich bin hocherfreut:
Sie sind ja der Archivrat Schäfer und nicht - wie ich befürchtete
- der Neutestamentler Schäfer von der Bonner Universität.“ Der
Professor, mit dem ich befreundet war, wird mir gewiss vom Himmel her zustimmen,
wenn ich ihn einen "scharfen Hund" nenne. So hatte er dem Erzbischof
in Bezug auf die Erziehung junger Theologen entschieden widersprochen.
Die Unbefangenheit verlor der Erzbischof auch nicht bei erhabenen Staatsempfängen
in der damals vorläufigen Bundeshauptstadt Bonn. Auf einem solchen
Empfang erschienen er und der Nuntius das eine Mal in großer Aufmachung
(wir erklärten ihn zur bestangezogenen Dame des Abends). Das
andere Mal aber kam er in schlichtem klerikalem Schwarz. Ich sagte
ihm, die Einfachheit seines Anzugs erinnere mich an ein Geschehen im Hause
meines Verlegers. Der zehnjährige Sohn des Verlegers erzählte
in der Schule seinem Vetter: „Gestern besuchte uns ein chinesischer Prinz;
aber er hatte sich als Mensch verkleidet.“ „So auch Sie, Herr Kardinal“,
fügte ich hinzu. Er antwortete: „Ach, Sie meinen, weil ich nicht
die Grande Tenue trage ... Das habe ich so mit dem Nuntius verabredet.
An so was muss man zeitig denken.“
Wie steht nun Frings zu den Traditionen und zur Autorität der
Kirche? Schwer zu sagen; vielleicht auch machte er eine Entwicklung
durch. Nach 1945 erzählte mir Konrad Adenauer, er habe 45 Minuten
lang über die Erziehung der Kleriker mit Frings gesprochen; er, Adenauer,
halte sie für falsch. Statt Häretiker dritten Ranges zu
lernen, sollten sie sich ein Bild unserer Welt verschaffen. Das Studium
der Soziologie und der Naturwissenschaften sei nötig. Auch wüchsen
sie zu abgekapselt auf; Pastorate und Kaplaneien seien problematisch.
Kleriker gehörten eher in Siedlungswohnungen hinein, damit sie heutige
Menschen in ihrem Alltag kennenlernten. „Was sagte der Erzbischof
darauf?“ fragte ich. Adenauer antwortete: „Er sagte: ‚sehr interessant‘,
sonst nichts.“ Das klingt nicht aufbruchswillig.
Aber ein anderes Mal lernte ich ihn gerade umgekehrt als durchaus gegenwartsbezogen kennen. Der Existenzphilosoph Max Müller (geb. 1906) sollte an die Bonner Universität kommen. Damals veranstaltete der „Osservatore Romano“, von keiner Sachkenntnis getrübt, einen Riesenspektakel gegen die angeblich kirchenfeindliche Existenzphilosophie. Davon ließ sich Frings nicht beirren: er werde es begrüßen, wenn die jungen Theologen Max Müller hörten und sein Kollege in Freiburg - Erzbischöfe reden sich untereinander mit „Kollege“ an - vermisse Max Müller bestimmt sehr, falls er von Freiburg nach Bonn gehe.
Ideologien kränkelten ihn nicht an, auch neueste nicht. Zeit um 1970. Revolutionäre Jugend; auch unter den Jungkaplänen. Einer forderte in einer Versammlung, der der Kardinal beiwohnte, energisch die Abschaffung reaktionärer Anreden in der Kirche, wie ‚Heiligkeit, Eminenz, Exzellenz!‘ Die schlichte Berufsbezeichnung sei das richtige, man solle einfach ‚Herr Erzbischof‘ sagen. Da trat der Kardinal auf den Reformer zu und sagte: „Sie haben mich mit der Anrede ‚Herr Erzbischof‘ merkwürdig aufgewertet. Wenn ich durch Köln gehe, sagen die Leute einfach: ‚Do kütt (kommt) dr Frings!‘“
Aus: Anzeiger für die katholische Geistlichkeit 87 (1987)
Für die Menschen im Alltag bestellt
Norbert Trippen
(...) Der volkstümliche rheinische Bischof war Bischof der Weltkirche
geworden! Das sollte sich alsbald auch auf dem Zweiten Vatikanischen
Konzil 1962-1965 zeigen. Als einer der zehn Mitglieder des Konzilspräsidiums
hat Frings zu verschiedenen Gegenständen vielbeachtete Beitrage geliefert..
Seine besondere Bedeutung lag jedoch darin, dass er gleich in der ersten
Generalkongregation auf Anregung des Bonner Kirchenhistorikers Hubert Jedin
durch seine Intervention die von der Kurie einseitig vorbereitete Zusammensetzung
der Konzilskommission verhinderte und damit den Gesamtablauf des Konzils,
seinen Stil und seine Ergebnisse in kaum zu überschätzender Weise
beeinflusste. Frings regte in diesem Zusammenhang erstmals die bald
übliche Absprache der Konzilsväter in Sprach- oder Landesgruppen
an. Man muss dabei bedenken, dass die für uns Deutsche seit
1848 selbstverständliche Einrichtung der Bischofskonferenz weltkirchlich
noch unbekannt war und erst durch das Konzil eingeführt wurde.
Beachtliches Aufsehen erregte auch die offene Kritik des Kölner Kardinals
an den Verfahrensweisen des Heiligen Offiziums unter Leitung von Alfredo
Ottaviani.
Welche Bedeutung Kardinal Frings für den konziliaren Prozess
und das mit dem Konzil gewachsene Lebensgefühl in der katholischen
Kirche gehabt hat wird erst nach umfassenden Untersuchungen zu belegen
sein. Dabei wird nicht verschwiegen werden dürfen, dass Kardinal Frings
ebenso wie andere Konzilsväter und Zeitzeugen in späteren Jahren
bisweilen erschrocken war, welche gar nicht beabsichtigten Auswirkungen
der konziliare Prozess in Gang brachte beziehungsweise welche problematischen
Tendenzen sich weniger auf den Buchstaben als auf den Geist des Konzils
beriefen.
Frings war weder spekulativer Theologe noch ein besonders wagemutiger
Experimentator. Er blieb auch als Bischof ein für praktische
Fragen aufgeschlossener Seelsorger mit Gespür für den Menschen,
der sich von klug und umsichtig ausgewählten Beratern Ideen vermitteln
ließ. Es zeigt die menschliche Größe des Kardinals,
dass er nie sich selbst gutschrieb, was diese Berater ihm vermittelt hatten.
Dass sein Generalvikar Joseph Teusch ihm die Ideen für die Partnerschaft
Köln-Tokyo wie für die großen Hilfswerke Misereor und Adveniat
vermittelt und entfaltet hatte, hat Frings jederzeit öffentlich bekannt.
Ebenso wenig sparte er mit öffentlicher Anerkennung für andere
wichtige Berater wie zum Beispiel Prälat Böhler oder seinen Konzilstheologen,
den damaligen Theologieprofessor Joseph Ratzinger.
So haben Zeitumstände, die Herausforderungen in Kirche und Welt,
aber auch das Geschick, die richtigen Berater und Mitarbeiter auszuwählen
und zur Geltung kommen zu lassen, der bischöflichen Wirksamkeit von
Kardinal Frings einen außergewöhnlichen Radius ermöglicht.
Eine umfassende Biografie dieses bedeutenden Kölner Erzbischofs, zu
der Kardinal Höffner den Auftrag erteilt hat, dürfte zu den lohnenden
Projekten der Zeitgeschichtsforschung gehören.
Aus: Rheinischer Merkur/Christ und Welt Nr. 6, 06.02.1987